Wissenschaftliche Erkenntnisse entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter, und das Thema des Bemessungswiderstands von Stahlquerschnitten der Klasse 3 bildet da keine Ausnahme. Im Eurocode 3 "Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten" wird davon ausgegangen, dass sie nicht mehr als ein elastisches Widerstandsniveau übertragen, obwohl wir heute wissen, dass eine interne plastische Umverteilung ihre Fähigkeit, Kräften zu widerstehen, manchmal erheblich erhöhen kann. Zeit für ein Update in der zweiten Generation der Eurocodes!
SEMI-COMP & SEMI-COMP+ Forschungsprojekte
Die Ergebnisse zweier Forschungsprojekte, die vom Europäischen Forschungsfonds für Kohle und Stahl (RFCS) finanziert wurden, führten zu einer wirtschaftlicheren Bemessungsmethode für Stahlquerschnitte der Klasse 3:
- SEMI-COMP "Plastische Tragfähigkeit von halbkompakten Stahlprofilen - eine wirtschaftlichere Bemessung" (RFSR-CT-2004-00044)
- SEMI-COMP+ "Valorisierungswirkung der plastischen Stabtragfähigkeit von halbkompakten Stahlquerschnitten - eine wirtschaftlichere Bemessung" (RFS2-CT-2010-00023)
Vor den Ergebnissen der beiden Forschungsprojekte konnten sich Querschnitte der Klasse 3 nur auf ihre elastischen Widerstandseigenschaften verlassen. Der neu vorgeschlagene Ansatz lässt bis zu einem gewissen Grad plastische Widerstandseigenschaften zu - eine Art elasto-plastisches Widerstandsvermögen, das höher ist als das alleinige Vertrauen auf die elastischen Eigenschaften. Die Schlussfolgerung? Der Werkstoff Stahl kann wirtschaftlicher eingesetzt werden. Eine Win-Win-Situation.
Das erste Forschungsprojekt wurde 2008 nach dreijähriger Forschungsarbeit abgeschlossen. Das Ergebnis war ein Berechnungsmodell, das vollständig mit den Grundsätzen des Eurocode 3 übereinstimmt und gleichzeitig eine Erhöhung des Bemessungswiderstands von Profilen der Klasse 3 ermöglicht. Dies wurde durch numerische und experimentelle Tests validiert.
Das zweite Forschungsprojekt hatte zum Ziel, das neu entwickelte Bemessungsverfahren durch Bemessungsrichtlinien, eine spezielle Software namens "Semi-Comp Design" und Seminare an Fachleute weiterzugeben. Weitere Informationen zu diesen Leitlinien finden Sie auf der folgenden Website: www.tugraz.at/en
Aufnahme der Ergebnisse von SEMI-COMP+ in die nächste Generation der EN 1993-1-1
Die Bemessung von halbkompakten Abschnitten wird in die nächste Generation der EN 1993-1-1 aufgenommen und unterstützt den gleichen Ansatz, wie er in den SEMI-COMP+-Ergebnissen vorgeschlagen wird. Im endgültigen Entwurf ist er unter Anhang B zu finden. Die Bemessung von halbkompakten Profilen in der Entwurfsversion der nächsten Generation von EN 1993-1-1 unterstützt die folgenden Profiltypen:
- I- oder H-Profile (gewalzt oder geschweißt)
- RHS- oder doppelt symmetrische geschweißte Kastenprofile
- kreisförmige oder elliptische Hohlprofile
SEMI-COMP+ Bemessungsansatz
Wie bereits erwähnt, liefert dieser Ansatz elasto-plastische Bemessungswiderstände für Profile der Klasse 3. Er kann als eine lineare Interpolation zwischen den plastischen und elastischen Widerständen interpretiert werden, was unten durch die gestrichelten Linien veranschaulicht wird:
Wenn die gestrichelte Linie im aktuellen Ansatz weggelassen wird, kommt es bei Profilen der Klasse 3 zu einem enormen Abfall des Biegewiderstands, da der Übergang von plastischen zu elastischen Widerständen abrupt erfolgt. Dank der gestrichelten Linie (elasto-plastisch) ergeben sich größere Widerstände für Profile der Klasse 3 aufgrund des linearen Übergangs zwischen dem plastischen und dem elastischen Bereich.
I- oder H-Profile
Tabelle 13 der SEMI-COMP+ Veröffentlichung bietet eine einfache Methode zur Bestimmung der elasto-plastischen Bemessungswerte für I- oder H-Profile der Klasse 3:
RHS-Abschnitte
Tabelle 14 der SEMI-COMP+-Veröffentlichung bietet eine einfache Methode zur Bestimmung der elasto-plastischen Bemessungswerte für RHS-Profile der Klasse 3:
Modifizierte Klassifizierungsgrenzen
Im Rahmen des SEMI-COMP+-Forschungsprojekts wurde festgestellt, dass die Klassifizierungsgrenzen in der aktuellen EN 1993-1-1 nicht dem vorgegebenen Sicherheitsniveau gemäß ESDEP (European Steel Design Program) entsprechen. Die Änderungen werden in SCIA Engineer wie in help.scia.net/webhelplatest/
Die Änderung wird in Tabelle 8 der SEMI-COMP+-Veröffentlichung erwähnt, wie unten zu sehen ist:
Implementierung in SCIA Engineer
SCIA Engineer implementiert seit Version 17 die wirtschaftlichere Entwurfsmethode nach SEMI-COMP+. Sie ist standardmäßig aktiviert und bietet damit die wirtschaftlichere Lösung. Die Einstellung befindet sich in der Stahleinrichtung, wo sie aktiviert oder deaktiviert werden kann:
Wenn sie aktiviert ist und der Querschnitt als Klasse 3 und als Typ I-/H-Profil oder RHS-Profil klassifiziert ist, wird der SEMI-COMP+ Ansatz verwendet, wie unten am Beispiel eines HE300AA-Profils dargestellt:
Die interpolierten Widerstandsmomente W3,y und W3,z sind interpolierte Werte zwischen dem elastischen und dem plastischen Widerstandsmoment. Die c/tref-Werte geben an, zu welcher Seite die interpolierten Werte näher liegen. Ein c/tref-Wert näher an 0 bedeutet, dass das interpolierte Widerstandsmoment näher am plastischen Widerstandsmoment liegt, während ein c/tref-Wert näher an 1 bedeutet, dass das interpolierte Widerstandsmoment näher am elastischen Widerstandsmoment liegt.
Weitere Informationen über die Implementierung in SCIA Engineer finden Sie hier: help.scia.net/webhelplatest/
Quellen:
- Valorisierungsprojekt Semi-Comp+, N° RFS2-CT-2010-00023, Hintergrundinformationen, 22. März 2012
- prEN 1993-1-1:2020 (Anhang B)